Als Fußballer*Innen wissen wir, dass wir in Spiel und Training einem gewissen Risiko ausgesetzt sind schwere Knie- oder Sprunggelenksverletzungen zu erleiden. Die Wahrscheinlichkeit sich im Spiel zu verletzen liegt dabei noch 6x höher als im „normalen“ Trainingsbetrieb.
Leider ist es so, dass Frauen generell aufgrund anatomischer Besonderheiten (weicheres Bindegewebe, mehr Tendenz zu einer X-Bein-Stellung etc.) einem nochmal deutlich höheren Verletzungsrisiko ausgesetzt sind als Männer.
Vor nunmehr sechs Jahren hatten die Aaseewomen auf diese Tatsache reagiert und ein verletzungspräventives Trainingsprogramm aufgenommen, welches seitdem innerhalb der drei wöchentlichen Trainingseinheiten jeweils ca. 25-30 Minuten einnimmt und diverse Lauf-, Kraft- und Stabilitätsübungen beinhaltet. Dieses Programm wurde mithilfe eines leitenden sportärztlichen Chirurgen, eines Sportmediziners der Uniklinik Münster und eines Sportwissenschaftlers der WWU erstellt und besteht aus Elementen des FIFA 11+ und SportX-Programms sowie weiteren fußballspezifischen Übungen.
Studien belegen, dass dieses Programm Spielerinnen bis zu 70% besser vor schweren Verletzungen schützt. Auch die Aaseewomen konnten vor allem die berüchtigten schweren Knieverletzungen ohne Gegnereinwirkung seit Einführung des Programmes extrem reduzieren.
Auch Grundlagenausdauer/Kondition wird bei den Aaseewomen nicht in Dauerläufen trainiert, sondern mittels eines HIIT-Programms, das effektiver und weniger zeitaufwändig ist.
Extremsituation Pandemie
Die Pandemie hat den Trainingsbetrieb inzwischen - mit einer Unterbrechung im Sommer 2020 - seit einem Jahr stillgelegt. Von Anfang Dezember 2019 bis heute haben die Aaseewomen nur sieben (!) Pflichtspiele bestritten. Aktuell ruht der Trainings- und Spielbetrieb erneut, inzwischen seit fünf Monaten.
Viele Mannschaften haben in dieser Zeit Trainingspläne für daheim bekommen und auch, wenn man nicht erwarten kann, dass alle Spieler*Innen diese regelmäßig und konsequent durchführen, könnte man vermuten, dass sich viele Spieler*Innen dadurch einigermaßen fit halten.
Aber – was bedeutet es im Hinblick auf eine mögliche Wiederaufnahme des Spielbetriebs nach der längsten Pause, die wir jemals hatten, mit einer verkürzten Vorbereitung in eine vergleichsweise hohe Spiel- und Trainingsbelastung zu gehen? Der FLVW lässt sich zitieren, dass die Vereine „mindestens zwei Wochen Vorbereitung“ bekämen, was sicher zu wenig wäre. Was aber wenn es vier Wochen werden? Oder sechs?
Da unser erstes Augenmerk auf der Gesundheit der Spieler*Innen liegt und somit im Speziellen der Verletzungsprävention, haben wir uns auch für diesen Ausnahmefall "Pandemiepause" sportwissenschaftlichen Rat von unseren Experten geholt.
Was wir als (Frauen-) Teams machen können
Um den Schutz vor schweren Verletzungen schnell wiederaufzubauen, sollten wir auf ein intramuskuläres Koordinationstraining (IK) in Form von Partnerübungen zugreifen. Den Partner brauche ich, um die gewünschten Widerstände für die gewünschte Maximalkraft zu erreichen. Durchzuführen sind diese Übungen jeweils in 1-3 Serien und mit 1-3 Wiederholungen. Das Ganzkörperübungsprogramm mit einem zusätzlichen Zeitaufwand von 5-8 Minuten sollte in jeder Trainingseinheit durchgeführt werden. Bei regelmäßiger Durchführung kann die Frequenz auch beliebig erhöht werden. Entsteht am Anfang aufgrund der ungewohnten Belastung noch Muskelkater, werden nur diejenigen Muskelgruppen trainiert, die vom Muskelkater ausgespart bleiben. Ist die Anpassung erfolgt, kann das komplette Präventivprogramm nach dem Aufwärmen regelmäßig durchgeführt werden.
Diese Partnerübungen sind von ganz entscheidender Bedeutung. Ebenso sind die "Nordic Hamstrings" (als Pendelübung, am Ende der Wiederholung jeweils aus der Höchstbelastung nach vorne fallenlassen) als hochwertige Trainingsübung mit extrem präventivem Charakter einzustufen. Diese Übung sollte genau nach dem gezeigten Belastungsprotokoll (Abbildung) durchgeführt werden. Alleine diese Übung bietet schon einen klaren Schutz vor schweren Knieverletzungen.
Die anderen Stabilitäts- und Kraftübungen aus StopX und FIFA +11 sollten ebenfalls durchgeführt werden, allerdings stets dynamisch – d.h. Positionen nicht länger als zehn Sekunden halten und dabei maximal drei Wiederholungen mit hoher Frequenz. Diese Übungen sind zusätzlich ein wichtiges Mittel zum Schutz vor schweren Knie- und Sprunggelenksverletzungen. Die Aaseewomen haben aus beiden Programmen passende Übungen herausgenommen und daraus ein eigenes ca. 25-minütiges Warm-Up zusammengestellt.
Gerade bei den Partnerübungen kann man kurzfristig eine Reaktivierung der Nervenzellen erreichen – durch die maximalen Widerstände wird das Nervensystem quasi gezwungen sich zu aktivieren. Man kann also mit dem richtigen Programm kurzfristig seine Muskeln wieder aufbauen - kurzfristig bedeutet aber hier schon, bei konsequentem Training, mindestens 4-6 Wochen, nicht weniger.
Die schlechte Nachricht ist leider: Das reicht nicht
Schon nach zwei Monaten Trainingspause bin ich als Sportler*In fitnesstechnisch bei Null angelangt. Das schließt diejenigen, die zuhause Kraft- und Konditionspläne durchgeführt haben, durchaus mit ein. Bei den Student*Innen des sportwissenschaftlichen Instituts Münster wurde festgestellt, dass dort trotz eingehaltener, spezifischer Trainingspläne während der Pandemiepause die Muskelmasse extrem gesunken und gleichzeitig die Körperfette gestiegen waren. Und das gilt nicht nur für die überprüften Unisportler*Innen, sondern auch für die Fußballer*Innen, die sich in den letzten Monaten an Trainingspläne gehalten haben. Das sportspezifische Training, der Kontakt und die Bewegungen aus dem Spiel, fehlt inzwischen zu lange.
Aufgrund der extremen Ausnahmesituation werden viele Spieler*Innen ohne konsequentes Trainieren während der Pause, was die Fitness betrifft, sogar bei unter Null, im Minusbereich, starten.
Das in unserem Fall Fußballsportspezifische ist durch all diese gut gemeinten Trainingspläne nicht zu ersetzen. Nur als ein Beispiel: Pro Spiel (90 Minuten) führt eine Fußballspielerin zwischen 1.200 bis 1.400 Richtungswechsel durch.
Ein verantwortungsvoller Neustart ist nur mit 12 Wochen Vorbereitung möglich!
Die sportspezifische Fitness und damit letztlich auch der Schutz vor Verletzungen sind nur durch ein langsames, grundsätzliches Aufbautraining zu erreichen. Sportmedizinisch ist es nicht leicht einzuschätzen, wie lange dieser Trainingsaufbau im Einzelfall genau braucht – veranschlagt werden im Normalfall zwischen 8-12 Wochen. 12 Wochen, wenn man sichergehen will.
In der aktuellen Situation, welche ganz und gar kein Normalfall ist, heißt das insbesondere für uns Frauenmannschaften: Alles unter 12 Wochen Vorbereitung ist, die Gesundheit der Spielerinnen betreffend, unverantwortlich. Man braucht diese Zeit um langsam aufzubauen und um nach und nach über Testspiele wieder auf Spielbetriebstauglichkeit zu kommen.
Die Gesundheit ist wichtiger als die Liga
Um es klar zu sagen – die Gesundheit der Spieler*Innen steht für uns an allererster Stelle. Ein Einstieg in den Spielbetrieb mit einer Vorbereitung von 4-6 Wochen wäre aus unserer Sicht nicht zu verantworten, das Verletzungsrisiko gegenüber dem normalen Spielbetrieb wäre deutlich erhöht, schwere Verletzungen unvermeidlich.
Wenn man eine Ahnung davon hat, was eine schwere Verletzung wie beispielsweise ein Kreuzbandriss für eine/n Spieler*In bedeutet, kann die Lösung dieser Situation aus sportmedizinischer aber eben auch menschlicher Sicht nur sein, den Spielbetrieb auszusetzen und den Mannschaften vor Neubeginn mindestens drei Monate Zeit zu geben, Spielfähigkeit und Verletzungsschutz wiederaufzubauen.
Der Wiedereinstieg in den Spielbetrieb ist zwar aktuell nur theoretische Überlegung, aber alle Mannschaftsverantwortlichen sollten sich über die gesundheitlichen Gefahren im Klaren sein. Und was sie tun können, um die Spieler*Innen so gut zu schützen wie möglich.
Wir, als Aaseewomen im Speziellen, haben fünf Jahre um den Aufstieg in die Bezirksliga gespielt und diesen 2019 endlich und überfällig geschafft. In dieser Saison sind wir in einer guten Position, was den Aufstieg in die Landesliga angeht. Dennoch würde ich als Trainer einen Einstieg in den Spielbetrieb mit deutlich erhöhtem Verletzungsrisiko für meine Spielerinnen nicht verantworten.
Beate Ochsenfarth und Kolja Steinrötter (Trainerteam der Aaseewomen)