Interview
Abschied von Pfarrer Rüster
Gemeinsam mit den beiden Kirchengemeinden St. Stephanus und
Jakobus engagiert sich Blau-Weiß Aasee am "Runden Tisch
der Aaseestadt" für das Viertel und seine Bewohner. Leonhard
Rüster, Pfarrer der katholischen St. Stephanus-Gemeinde, geht
im Sommer in den wohlverdienten Ruhestand. Die offizielle Verabschiedung
findet am 26. Juli um 17.00 Uhr statt. Letzte Gelegenheit also für
den Aaseher, einen Menschen zu befragen, der das Leben im Viertel
während der letzten Jahre entscheidend mitgeprägt hat.
Das Interview führte Jens Nagl.
Herr Rüster, bitte erzählen Sie uns etwas zu Ihrer
Person!
Geboren bin ich 1933 in Bocholt. Zunächst eher probeweise entschloss
ich mich 1953 zum Studium der Theologie und studierte in Münster
und München. Nach der Priesterweihe 1960 war ich Kaplan in
Freckenhorst und Billerbeck, von 1965 bis 1971 im Münsterland
Pfarrer bei Soldaten und darauf 23 Jahre in einer Bergwerksgemeinde
in Ibbenbüren. 1994 kam ich zu St. Stephanus in die Aaseestadt.
Wie fällt die "Bilanz" Ihrer neun Jahre als
Pfarrer der Stephanus-Gemeinde aus?
Bilanz zu ziehen ist bei uns eine Sache des Kirchenvorstandes, Religion
ist nicht in dieser Weise verrechenbar. Ich bin dankbar, dass Religion
immer noch Unterstützung findet in Form von Spenden und Kirchensteuern.
Es wird für wichtig erachtet, dass es unverrechenbare Religion
gibt.
Gab es in Ihrer Amtszeit Höhepunkte, an die Sie sich
besonders gerne erinnern?
Nicht so sehr große Ereignisse sind für mich entscheidend,
sondern vielmehr der Alltag von Menschen, die sich einander anvertrauen,
ihre Beziehungen im Wandel. Mich beeindruckt die Wertschätzung,
die mir auch viele Leute entgegenbringen, die sich nicht kirchlich
fühlen, die manchmal stöhnen "Ihr mit Eurer Kirche!"
und dennoch zutiefst menschlich handeln.
Ich erinnere mich gerne an die vielen Kinder bei der Zirkusaufführung
der Grundschule und ich denke an das gemeinsame Fest mit der evangelischen
Jakobusgemeinde. Mein Dank gilt unserer Kleiderkammer, die viel
mehr tut, als Kleidungsstücke zu sammeln, sondern die mit ihrer
Arbeit vor allem zur Achtung der Würde von Menschen beiträgt.
Ebenso anerkenne ich die Haussammlungen in unseren Straßen,
diesen Gang von Haus zu Haus für die notwendigen Aufgaben pfarrlicher
Hilfe von Caritas. Wichtig waren mir auch immer die Kindergartenarbeit
und die Krankenbesuche, bei denen ich viel lernen konnte und zum
Nachdenken über mich selbst angeregt wurde.
In welcher Hinsicht hat sich der junge Stadtteil Aaseestadt
während Ihrer Zeit verändert?
Die Aaseestadt ist kein junger Stadtteil. Er befindet sich in einem
schwierigen Prozess des Umbruches. Es gibt hier die ältere
Generation, die nahezu gleichzeitig hergekommen ist und den Stadtteil
aufgebaut hat; sie fordert Respekt für ihre Leistung ein. Ich
vernehme oft Klage über Veränderungen und verstehe das
sehr gut. Und doch begrüße ich es, dass langsam auch
die jungen Familien zum Zuge kommen. Insgesamt bin ich angenehm
überrascht, wie viel Freundlichkeit einem hier entgegengebracht
wird.
Kirche und Sport, St. Stephanus und Blau-Weiß Aasee.
Gibt es da keine Konkurrenz, gerade auch um den Sonntag? Wie würden
Sie Ihr persönliches Verhältnis zum Sport beschreiben?
Zwar habe ich in meiner Jugend Fußball gespielt und bin Schwimmen
gegangen, aber ein Verhältnis zum Sport zu entwickeln, dazu
hatte ich keine Gelegenheit. Es freut mich, wenn ich an Leib und
Seele gesunde Menschen erlebe. Man sagte mir in der Ausbildung
ein Kaplan "müsse dafür sorgen, dass der Junge Fußball
spielen kann". Dass gegenüber dem Fußball das Halleluja
doch nicht so langweilig ist, diese Erkenntnis hat durchaus Zeit.
Die Konkurrenz mit dem Sport macht mir keine Angst. Ich erkenne
die Terminzwänge an, denen unterliegt auch die Kirche. Aber
wir nehmen uns gegenseitig nichts. Wem der Gottesdienst wichtig
ist, der findet auch den Weg dorthin. Ich finde es schön, dass
es so etwas wie Blau-Weiß Aasee gibt und bewundere das Programm,
gerade weil es von vielen Ehrenamtlichen getragen wird. Für
das Gemeinwesen ist das wunderbar.
Wie beurteilen Sie die Einrichtung des "Runden Tisches
Aaseestadt"? Hat dieses Forum nennbare Ergebnisse gebracht?
Sich gegenseitig kennenlernen, wertschätzen, würdigen,
und dabei auch Konflikte ehrlich austragen, das ist das wesentliche
"Ergebnis" des Runden Tisches. Mit innerer Freude denke
ich daran, dass es uns damals in Vereinbarung mit Jugendlichen und
Erwachsenen von Jakobus- und Stephanusgemeinde und Blau-Weiß
Aasee - angestoßen durch Peter Lammerding - gelungen ist,
einige "schwierige" Jugendliche des Stadtteils aufzufangen.
Jetzt können wir mit dem Janosch-Café einen Anlaufpunkt
anbieten. Hier hilft unser gemeinsamer Austausch mit den Institutionen
Polizei, Jugendamt usw. sehr.
Die "Friedensgebete in der Aaseestadt" während
des Irak-Krieges im März und April waren die jüngste Gemeinschaftsaktion
von Stephanus- und Jakobus-Gemeinde sowie Blau-Weiß Aasee.
Welchen Sinn macht eine solche Veranstaltung?
Die Friedensgebete sind eine Form, der inneren Stimme Gehör
zu geben, das eigene Gewissen öffentlich zu machen. Und dies
gerade auch gemeinsam mit Leuten, die das nicht in ihrer Tradition
haben, die quasi sagen: "Beten kann ich nicht, aber ich bin
dabei." Religiöse Worte sind dafür gar nicht notwendig.
Menschen stehen mit anderen, ihnen bisher vielleicht unbekannten,
für die Öffentlichkeit zusammen. Eine solche Erfahrung
ist wertvoll, selbst dann, wenn am stärksten die gemeinsame
Ohnmacht empfunden wird.
Blau-Weiß Aasee möchte in 2004 ein Haus bauen,
das für den Verein, aber auch für die Menschen im Viertel
ein Treffpunkt sein soll. Haben Sie und Ihre Gemeinde diesbezüglich
Hoffnungen? Haben Sie Befürchtungen?
Von diesem Haus befürchte ich nichts. Im Gegenteil. Es wäre
zum Beispiel ein Glück für die Altenarbeit, wenn Ängste
und Nöte der älteren Leute, wie beispielsweise die Vereinsamung,
hier in einen Kreis getragen würden, wo sie auch die Jüngeren
mitbekommen und verstehen lernen. Das Bedürfnis, sich irgendwo
zuhause zu fühlen, wird in der modernen Gesellschaft weiter
wachsen. Es wäre also unklug sich voneinander abzugrenzen,
wenngleich ich die Stimmen aus der Gemeinde, die hier einen Verlust
befürchten, gut nachvollziehen kann und sehr ernst nehme.
Welche Gefühle bewegen Sie vor dem Abschied aus dem
Berufsleben? Haben Sie Pläne für Ihre persönliche
Zukunft, die Sie dem Aaseher anvertrauen möchten?
Abschied und Umzug stehen noch bevor und zur Zeit habe ich noch
viel zu viel zu tun, um mich näher damit zu befassen. Traurig
werde ich sein und ich bin auch etwas nervös, wie ich den Übergang
gestalte. Ich will meine Lebensweise ändern, nicht mehr vom
Kalender abhängig und ständig von vielen Menschen gefordert
sein. Das wird mir viel Disziplin abverlangen, denn eine Leere zu
füllen ist mühsam. Man muss in diesem vikarisierenden
Leben aufpassen, dass die eigene Person nicht hinter der Rolle,
dem Amt verschwindet. Ich will mich etwas vom Religiösen, seinen
Formen, zurückziehen und mehr an mich selber denken, als Mensch
und Geschöpf. Zur Altersheiterkeit bin ich noch nicht gelangt.
Welche Wünsche haben Sie für Ihre Gemeinde und
die Aaseestadt?
Es ist mein herzlicher Wunsch, dass viele aus Erfahrung in ihrem
Lebenslauf bestätigen können, was in einem lateinischen
Satz, der mich lange begleitet hat, so gefasst ist: "Vocatus
atque non vocatus Deus adest". Gerufen oder ungerufen - Gott
ist da.
Wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen
alles Gute.
Das Interview führte
Jens Nagl
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