Sport trifft Buch Was machen fußballbegeisterte Jugendliche auf dem afrikanischen Kontinent in ihrer Freizeit? Sie treten gegen den Ball, versäumen kein Spiel europäischer Mannschaften, das im Fernsehen übertragen wird, und träumen davon, selbst einmal in Marseille, Mailand oder Madrid Fußball spielen zu können. Doch nur allzu selten verwirklicht sich dieser Traum. In ihrem kürzlich erschienenen Roman "Der Bauch des Ozeans" schreibt die Senegalesin Fatou Diome über diese Sehnsüchte und die harte Realität afrikanischer Einwanderer in Europa. Kay Wagner hat sich für den Aaseher mit der 36-Jährige in ihrer derzeitigen Heimatstadt Straßburg getroffen.
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europäischen Ligen im Fernsehen gezeigt werden, versammeln sich fast alle Jungs in meinem Heimatdorf vor den wenigen Fernsehern und haben nur einen Wunsch. Nämlich selbst einmal in Europa spielen zu können. Und wehe, der Fernseher fällt wegen Altersschwäche aus. Das ist dann immer eine Katastrophe. In Ihrem Buch träumt der Bruder der Ich-Erzählerin auch von einer Fußball-Karriere in Europa. Aber die Erzählerin, die seit einiger Zeit in Frankreich lebt, weigert sich, ihm mit einem Flugticket die Reise nach Europa und damit die Chance zu ermöglichen, seinen Traum zu erfüllen. Das ist doch hart, oder? Diome: Nein, das war es in diesem Fall nicht. Ich schreibe da über eine wahre Begebenheit, über mich und meinen eigenen Bruder. Als ich in Frankreich war, galt ich in meiner Heimat als jemand, der es geschafft hatte. Dass ich ein ziemlich erbärmliches Leben als Studentin führte, mich einsam in der fremden Kultur fühlte, mir meinen bescheidenen Lebensunterhalt als Putzfrau hart verdienen musste, davon wollte keiner was wissen. Denn dass es einem eingewanderten Schwarzafrikaner in Europa auch schlecht gehen kann, dass ignorieren die Leute bei uns. Man sieht nur die Erfolgreichen. So auch mein Bruder. Er dachte, wenn er hier hinkommt, dann werde er fast automatisch eines Tages einer der Stars sein, die er im Fernsehen sieht. Aber das wäre er nie geworden. Das können Sie doch nicht wissen. Diome: Ich hatte mich erkundigt. Mit seinen damals 20 Jahren wäre er zu alt gewesen. Kein Club hätte ihn mehr in ein Ausbildungszentrum aufgenommen. Außerdem hätte er als eingewanderter Schwarzafrikaner in Europa noch mit ganz anderen Dingen fertig werden müssen als lediglich damit, sich im Fußball durchzusetzen. Das Leben hier ist so ganz anders als in ländlichen Gegenden bei uns, die ganze Kultur fehlt. Und dann wird man manchmal auch mit Rassismus konfrontiert. Gibt es diesen Rassismus im französischen Fußball denn noch? Immerhin haben die Franzosen doch ihre große Mannschaft gehabt, die 1998 Weltmeister und 2000 Europameister geworden ist. Und darin gab es so viele farbige Spieler, die zum Stolz der Nation geworden sind. Diome: Von dieser Mannschaft bin ich wirklich begeistert. Sie hat allen gezeigt, dass es unerheblich ist, welche Hautfarbe oder Herkunft jemand hat. Sondern dass es vielmehr darauf ankommt, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Jeder stellt sein Können und Streben in den Dienst dieser Idee, und dann kann man alles erreichen. Ein wenig hat dieser Geist damals auch die französische Gesellschaft ergriffen. Aber den Rassismus gibt es trotzdem noch. Im Sport wie im normalen Leben. Welche Antwort könnte denn der Sport darauf geben? Diome: Sie machen das Interview doch für einen Breitensportverein. Und genau dort finde ich, wird diese Antwort schon gegeben. Die Leute, die in solchen Clubs Sport treiben, wissen selbst, dass sie nie die nationale Meisterschaft gewinnen und auch keine Millionen verdienen werden. Dennoch treffen sie sich, um zu trainieren und gegen andere Leute zu spielen, die in genau der gleichen Situation sind. Da steht das gemeinsame Erlebnis noch im Vordergrund und nicht das Ziel, möglichst viel Geld zu verdienen, das eigene Ego zu befriedigen und sich als Marke zu verkaufen.
Diome: Klar. Aber wenn das dann nicht gelingt, bricht keine Welt zusammen. Ich glaube, in solchen Vereinen herrscht ein Geist, bei dem alle wissen, dass es um mehr als nur um das Siegen um jeden Preis geht. Sondern dass hier vor allem Werte vermittelt werden, die auch in der Gesellschaft wichtig sind: Respekt des Anderen, Fairness, angemessenes Verhalten in der Gruppe. Gibt es solche Vereine auch im Senegal? Diome: Viel weniger als in europäischen Ländern. In jüngster Zeit haben gerade senegalesische Spieler, die in Frankreich ihr Geld verdienen, Fußballschulen bei uns eröffnet. Ich habe aber die Befürchtung, dass sich diese Zentren schnell in Kaderschmieden verwandeln, wo es dann doch wieder nur darum geht, der Beste zu sein. Letzte Frage: Ist ihr Bruder noch sauer, dass Sie ihm damals das Flugticket nach Frankreich nicht gekauft haben? Diome: Nein, ganz und gar nicht. Ich habe ihm Geld geschickt, mit dem er einen kleinen Lebensmittelladen eröffnet hat. Damit ist er sehr erfolgreich. Er hat sich ein Haus bauen und einen Fernseher kaufen können, dank dessen er über den europäischen Fußball immer bestens informiert ist. Außerdem hat er angefangen, eine Fußballmannschaft von Jugendlichen aus unserem Dorf zu trainieren. Er hat geheiratet Nein, er ist sehr glücklich heute. Frau Diome, herzlichen Dank für dieses Gespräch. Diome: Ich danke Ihnen. Und grüßen Sie bitte den SV Blau-Weiß Aasee von mir. Das Buch: Das Buch von Fatou Diome "Der Bauch des Ozeans" ist auf Deutsch im Diogenes Verlag erschienen, hat 273 Seiten und kostet 18,90 Euro. |
Aaseher Sommer 2005: Sport trifft Buch