Aaseher Winter 2005/2006: Sport trifft Buch

Sport trifft Buch
Vom Traumhüter zum Fremdgänger

Ronald Reng lebt nach fünf Jahren London nun als Sportjournalist in Barcelona. Mit seinem ersten Buch "Der Traumhüter - Die unglaubliche Geschichte eines Torwarts" hat er 2002 einen literarischen Großerfolg gefeiert. Sein neuer Roman "Fremdgänger" ist gerade erschiene. Für den "Aaseher" beantwortet er 11 Fragen rund um Sport und Kultur.

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Im "Traumhüter" erzählen Sie die wahre Geschichte von Lars Leese, einem unbekannten deutschen Torwart, der einen Vertrag beim FC Barnsley in der englischen Premiere League erhält und beim 1:0-Sieg des Aufsteigers beim FC Liverpool zum gefeierten Helden wird. Die Karriere endet dann ebenso plötzlich, wie sie begonnen hat. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Lars Leese?
Ich hatte Lars während seiner Zeit in England kennen gelernt, als ich für den Sportteil der Süddeutschen Zeitung über ihn berichtete. Wir blieben in Kontakt, und als er danach, arbeitslos in Deutschland, den Leuten seine Geschichte erzählte, wie er vom Kreisliga- zum Premier-League-Torwart aufstieg, hörte er immer wieder: "Darüber kannst du ja ein Buch schreiben!" Es war nur ein Spruch, wie Leute halt so reden. Aber Lars nahm das ernst. Er lag mir in den Ohren: "Ronnie, Du könntest das doch aufschreiben." Ich habe ihm immer gesagt: "Finde du erst mal wieder Arbeit! Ein Buch über dich interessiert keinen". Aber zu meinem Erstaunen war ein Bekannter vom Verlag Kiepenheuer & Witsch genauso überzeugt wie Lars, dass dies eine Erfolgsgeschichte werden würde. Ich habe mich dann zum Schreiben prügeln lassen.

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Waren Sie von Anfang an vom literarischen Erfolg des Buches überzeugt? Immerhin war es Ihr Debüt als Buchautor.
Ich bin ziemlich schnell umgeschwängt von, "das interessiert keinen" auf: "das wird das gefeierteste deutsche Sportbuch" - was es ja dann tatsächlich auch wurde. Einmal bei der Arbeit, konnte auch ich Blinder den Charme der Geschichte erkennen: Lars hat den Traum aller großen und kleinen Jungen gelebt, er, ein Freizeitkicker und Fan wie wir, fand sich plötzlich in einem Profiteam wieder. Er ist, auch von seiner Art, eine uneingeschränkte Identifikationsfigur. Deshalb erkennen sich die Leser in ihm wieder. Er führt sie durch die Profiwelt, durch ihre Träume.

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Es gilt als schwierig, Sport auf literarischem Niveau umzusetzen. Dennoch gibt es mit "Fever Pitch" von Nick Hornby und dem "Traumhüter" zwei exzellente Beispiele. Auch Theaterstücke wie "I Furiosi" oder "Wir im Finale" können begeistern. Wo sehen Sie die Schwierigkeiten, wo die Chancen dieser Art der "Sportkultur" bzw. des "Kultursports"?
Sport, besonders Fußball, wird immer nur bedingt ein Thema für die Literatur bleiben können. Denn wir wissen zu viel über die Wirklichkeit des Profifußballs, wir sehen es täglich stundenlang im Fernsehen, lesen darüber in der Zeitung, spielen es selber - da hat die Fiktion keine Chance mehr. Sie würde immer nur ein müder Abklatsch der Wirklichkeit bleiben. Sport im Roman kann deshalb nie Hauptgegenstand, sondern allenfalls als Randthema vorkommen, wie etwa im vorzüglichen Roman "Brot und Spiele" von Siegfried Lenz, der von einem Langstreckenläufer erzählt - aber eben nicht über den Langstreckenlauf, sondern über die Flucht eines Läufers während des Krieges. Sehr wohl kann es gute essayistische oder journalistische, biografische Bücher über Sport und Sportler geben wie Fever Pitch oder den Traumhüter. Denn sie halten sich an die Realität.

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Welche Karriere würden Sie für sich bevorzugen, wenn Sie als Sportler die Wahl hätten: Profi, "Traumhüter" oder Amateur?
Definitiv Traumhüter. Den Sport als Amateur kennenzulernen und dann im Profifußball zu landen, hat einen großen Vorteil, dass hat Lars Leese gezeigt: Er blieb auch als Profi immer Fan und genoss deshalb die Zeit im Berufsfußball viel mehr als die normalen Profis, die von Kindheit an alles dem Leistungssport unterordnen mussten. Viele von ihnen sind Gefangene ihres Berufs, gepeinigt von Versagensängsten, gequält vom Leistungsdruck, so dass sie viele schöne Momente des Sports nicht mehr wahrnehmen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In der Woche nachdem Lady Diana starb, gab es beim Spiel Barnsely gegen Aston Villa eine Schweigeminute. Die 22 Spieler standen stumm, Kopf gesenkt im Kreis. 21 dachten: "Ich muss sofort, wenn das Spiel beginnt, einen umtreten, mir Respekt verschaffen.", "Wenn wir heute wieder nicht gewinnen, steigen wir ab" und so weiter. Lars dachte: "Wahnsinn. 20.000 Menschen im Stadion und solch eine intensive Stille, dass ich den Flügelschlag des Vogelschwarms hören konnte, der über das Stadion flog." Er wäre wohl ein besserer Profi geworden, wenn er den klassischen Tunnelblick gehabt hätte. So aber nahm er viele Momente wahr, die ein normaler Profi glatt übersah.

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Worin liegt für Sie der Reiz des englischen Fußballs?
In der Schnelligkeit des Spiels, dem Zwang, den Ball ohne Stoppen zu spielen; in der Schönheit eines gelungenen Tackles, wenn der Verteidiger den Ball spielt und der Gegner von der Wucht des Zusammenpralls durch die Luft fliegt; in dem aufrichtigen Applaus der Fans, wenn der Gegner einfach besser war.

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Ihr neuer Roman "Fremdgänger" ist gerade erschienen und wird von der Kritik gut angenommen. Worum geht es da?
Wie es ist, jemanden aus einer anderen Welt zu lieben. Der Roman erzählt die Geschichte eines jungen deutschen Investmentbanker, der eine noch jüngere ukrainische Klarinettistin heiratet. Ein bisschen Sport habe ich der Hauptperson auch untergejubelt: Tobias, der Banker, ist ehemaliger Hockeytorwart.

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Warum sollte der "Fremdgänger" auf keinem weihnachtlichen Gabentisch fehlen?
Weil ich mir dann von dem Geld noch mehr freie Nachmittage im Café leisten kann.

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Ihre Romane "Fremdgänger" und "Mein Leben als Engländer" spielen beide in London. Darüber hinaus haben Sie eine "Gebrauchsanweisung für London" verfasst. Abgesehen davon, dass Sie fünf Jahre dort gelebt haben - was macht diese Stadt für Sie so besonders?
"Das beste, was mir im Leben passierte, war, als Londoner geboren zu werden", sagte der Schauspieler Michael Caine, und wie recht er hat! Es gibt keine bessere Stadt. In London ist die ganze Welt zuhause, nirgendwo kann man sich als Ausländer so leicht heimisch fühlen. Man muss nur die einzige Regel, das einzige Gesetz Londons achten: Sei höflich zu allen. Die Höflichkeit hält London zusammen und macht das Leben dort angenehmer als sonstwo. Und, bitte, fangen Sie erst gar nicht an einzuwenden: "Aber der Regen ..." Denn da fragen Sie mal ihr Wetteramt: Statistisch regnet es in Münster mehr als in London!

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Ist London für Sie auch in sportlicher Hinsicht eine Hauptstadt?
London ist in allen Sportarten erstklassig, im Fußball gibt es sogar 13 Profivereine, nur Buenos Aires hat mehr. Und wer nicht ganz so erstklassigen Sport sehen möchte, für den gibt es die Spielfelder in den "Hackney Marshes" mit 80 Fußballplätzen nebeneinander. Hier lieferte ich für mein Freizeitteam "Churchill Arms" so manche Heldentat. Die größte bestand nach Meinung meiner Mitspieler darin, dass ich einmal, sonntags morgens um drei vor zehn, drei Minuten vor Anpfiff, zwei Hamburger aß und mit dem Zwiebelgeruch dann die gegnerischen Stürmer ausschaltete.

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Sehen Sie die Weltmeisterschaft in Deutschland eher als internationales Fußballfest oder eher als kommerzielles Massenevent?
Aus meiner Sicht waren alle Welt- und Europameisterschaften, die ich bislang als Sportreporter erlebte, Volksfeste. Leute, die aus der ganzen Welt zusammenkamen, um sich stundenlang darüber zu unterhalten, ob Christian Wörns ein guter Verteidiger ist oder nicht, die Fotos mit Japaner machten und im Wettstreit lagen, ob man tatsächlich 27 Bier in zwei Stunden trinken kann. Ich sehe keinen Grund, warum es in Deutschland anders werden sollte.

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Ihr WM-Tipp: Wer wir Weltmeister, wo sehen Sie Deutschland und England?
Ich möchte gerne glauben, dass Portugal Weltmeister wird, weil sie nach Brasilien derzeit die bestbesetzte Elf haben, mit Andrade und Carvalho in der Innenverteidigung, mit dem besten Fußballer der Welt im Mittelfeld: Deco, und einen exzellenten Trainer (Scolari). Aber natürlich weiß ich, dass das irgendwie nicht geht, dass es halt so ist: dass ein Land wie Portugal nie Weltmeister wird. Nun denn, wenn es Deutschland oder England werden würde, ich würde mich mit beiden sehr freuen. Schon wieder Brasilien wäre doch langweilig, auch wenn ihre Mannschaft eine ganze Klasse besser ist als alle anderen. Und übrigens: Deutschland ist ja unter Klinsmann das neue England; der Bundestrainer ist geprägt von seiner Zeit bei Tottenham, er lässt englisch spielen, den Ball ohne Stoppen weiterleiten, Tempo, Tempo, immer nach vorne. Und England? Spielt unter Trainer Eriksson vorsichtig, abwartend, mit viel Körpereinsatz. Die deutschen Tugenden sind jetzt nach England ausgewandert.

Ronald Reng
Fremdgänger
Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 3-462-03623-8
9,90 EUR

Ebenfalls im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen sind die Bücher:

Der Traumhüter -
Die unglaubliche Geschichte eines Torwarts
ISBN 3-462-03107-4

Mein Leben als Engländer
ISBN 3-462-03339-5