Sport trifft Buch
Vom Traumhüter zum Fremdgänger
Ronald Reng lebt nach fünf Jahren London nun als Sportjournalist
in Barcelona. Mit seinem ersten Buch "Der Traumhüter -
Die unglaubliche Geschichte eines Torwarts" hat er 2002 einen
literarischen Großerfolg gefeiert. Sein neuer Roman "Fremdgänger"
ist gerade erschiene. Für den "Aaseher" beantwortet
er 11 Fragen rund um Sport und Kultur.
1
Im "Traumhüter" erzählen Sie die wahre Geschichte
von Lars Leese, einem unbekannten deutschen Torwart, der einen Vertrag
beim FC Barnsley in der englischen Premiere League erhält und
beim 1:0-Sieg des Aufsteigers beim FC Liverpool zum gefeierten Helden
wird. Die Karriere endet dann ebenso plötzlich, wie sie begonnen
hat. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Lars Leese?
Ich hatte Lars während seiner Zeit in England kennen gelernt,
als ich für den Sportteil der Süddeutschen Zeitung über
ihn berichtete. Wir blieben in Kontakt, und als er danach, arbeitslos
in Deutschland, den Leuten seine Geschichte erzählte, wie er
vom Kreisliga- zum Premier-League-Torwart aufstieg, hörte er
immer wieder: "Darüber kannst du ja ein Buch schreiben!"
Es war nur ein Spruch, wie Leute halt so reden. Aber Lars nahm das
ernst. Er lag mir in den Ohren: "Ronnie, Du könntest das
doch aufschreiben." Ich habe ihm immer gesagt: "Finde
du erst mal wieder Arbeit! Ein Buch über dich interessiert
keinen". Aber zu meinem Erstaunen war ein Bekannter vom Verlag
Kiepenheuer & Witsch genauso überzeugt wie Lars, dass dies
eine Erfolgsgeschichte werden würde. Ich habe mich dann zum
Schreiben prügeln lassen.
2
Waren Sie von Anfang an vom literarischen Erfolg des Buches überzeugt?
Immerhin war es Ihr Debüt als Buchautor.
Ich bin ziemlich schnell umgeschwängt von, "das interessiert
keinen" auf: "das wird das gefeierteste deutsche Sportbuch"
- was es ja dann tatsächlich auch wurde. Einmal bei der Arbeit,
konnte auch ich Blinder den Charme der Geschichte erkennen: Lars
hat den Traum aller großen und kleinen Jungen gelebt, er,
ein Freizeitkicker und Fan wie wir, fand sich plötzlich in
einem Profiteam wieder. Er ist, auch von seiner Art, eine uneingeschränkte
Identifikationsfigur. Deshalb erkennen sich die Leser in ihm wieder.
Er führt sie durch die Profiwelt, durch ihre Träume.
3
Es gilt als schwierig, Sport auf literarischem Niveau umzusetzen.
Dennoch gibt es mit "Fever Pitch" von Nick Hornby und
dem "Traumhüter" zwei exzellente Beispiele. Auch
Theaterstücke wie "I Furiosi" oder "Wir im Finale"
können begeistern. Wo sehen Sie die Schwierigkeiten, wo die
Chancen dieser Art der "Sportkultur" bzw. des "Kultursports"?
Sport, besonders Fußball, wird immer nur bedingt ein Thema
für die Literatur bleiben können. Denn wir wissen zu viel
über die Wirklichkeit des Profifußballs, wir sehen es
täglich stundenlang im Fernsehen, lesen darüber in der
Zeitung, spielen es selber - da hat die Fiktion keine Chance mehr.
Sie würde immer nur ein müder Abklatsch der Wirklichkeit
bleiben. Sport im Roman kann deshalb nie Hauptgegenstand, sondern
allenfalls als Randthema vorkommen, wie etwa im vorzüglichen
Roman "Brot und Spiele" von Siegfried Lenz, der von einem
Langstreckenläufer erzählt - aber eben nicht über
den Langstreckenlauf, sondern über die Flucht eines Läufers
während des Krieges. Sehr wohl kann es gute essayistische oder
journalistische, biografische Bücher über Sport und Sportler
geben wie Fever Pitch oder den Traumhüter. Denn sie halten
sich an die Realität.
4
Welche Karriere würden Sie für sich bevorzugen, wenn
Sie als Sportler die Wahl hätten: Profi, "Traumhüter"
oder Amateur?
Definitiv Traumhüter. Den Sport als Amateur kennenzulernen
und dann im Profifußball zu landen, hat einen großen
Vorteil, dass hat Lars Leese gezeigt: Er blieb auch als Profi immer
Fan und genoss deshalb die Zeit im Berufsfußball viel mehr
als die normalen Profis, die von Kindheit an alles dem Leistungssport
unterordnen mussten. Viele von ihnen sind Gefangene ihres Berufs,
gepeinigt von Versagensängsten, gequält vom Leistungsdruck,
so dass sie viele schöne Momente des Sports nicht mehr wahrnehmen.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In der Woche nachdem Lady Diana starb,
gab es beim Spiel Barnsely gegen Aston Villa eine Schweigeminute.
Die 22 Spieler standen stumm, Kopf gesenkt im Kreis. 21 dachten:
"Ich muss sofort, wenn das Spiel beginnt, einen umtreten, mir
Respekt verschaffen.", "Wenn wir heute wieder nicht gewinnen,
steigen wir ab" und so weiter. Lars dachte: "Wahnsinn.
20.000 Menschen im Stadion und solch eine intensive Stille, dass
ich den Flügelschlag des Vogelschwarms hören konnte, der
über das Stadion flog." Er wäre wohl ein besserer
Profi geworden, wenn er den klassischen Tunnelblick gehabt hätte.
So aber nahm er viele Momente wahr, die ein normaler Profi glatt
übersah.
5
Worin liegt für Sie der Reiz des englischen Fußballs?
In der Schnelligkeit des Spiels, dem Zwang, den Ball ohne Stoppen
zu spielen; in der Schönheit eines gelungenen Tackles, wenn
der Verteidiger den Ball spielt und der Gegner von der Wucht des
Zusammenpralls durch die Luft fliegt; in dem aufrichtigen Applaus
der Fans, wenn der Gegner einfach besser war.
6
Ihr neuer Roman "Fremdgänger" ist gerade erschienen
und wird von der Kritik gut angenommen. Worum geht es da?
Wie es ist, jemanden aus einer anderen Welt zu lieben. Der Roman
erzählt die Geschichte eines jungen deutschen Investmentbanker,
der eine noch jüngere ukrainische Klarinettistin heiratet.
Ein bisschen Sport habe ich der Hauptperson auch untergejubelt:
Tobias, der Banker, ist ehemaliger Hockeytorwart.
7
Warum sollte der "Fremdgänger" auf keinem weihnachtlichen
Gabentisch fehlen?
Weil ich mir dann von dem Geld noch mehr freie Nachmittage im
Café leisten kann.
8
Ihre Romane "Fremdgänger" und "Mein Leben
als Engländer" spielen beide in London. Darüber hinaus
haben Sie eine "Gebrauchsanweisung für London" verfasst.
Abgesehen davon, dass Sie fünf Jahre dort gelebt haben - was
macht diese Stadt für Sie so besonders?
"Das beste, was mir im Leben passierte, war, als Londoner
geboren zu werden", sagte der Schauspieler Michael Caine, und
wie recht er hat! Es gibt keine bessere Stadt. In London ist die
ganze Welt zuhause, nirgendwo kann man sich als Ausländer so
leicht heimisch fühlen. Man muss nur die einzige Regel, das
einzige Gesetz Londons achten: Sei höflich zu allen. Die Höflichkeit
hält London zusammen und macht das Leben dort angenehmer als
sonstwo. Und, bitte, fangen Sie erst gar nicht an einzuwenden: "Aber
der Regen ..." Denn da fragen Sie mal ihr Wetteramt: Statistisch
regnet es in Münster mehr als in London!
9
Ist London für Sie auch in sportlicher Hinsicht eine Hauptstadt?
London ist in allen Sportarten erstklassig, im Fußball gibt
es sogar 13 Profivereine, nur Buenos Aires hat mehr. Und wer nicht
ganz so erstklassigen Sport sehen möchte, für den gibt
es die Spielfelder in den "Hackney Marshes" mit 80 Fußballplätzen
nebeneinander. Hier lieferte ich für mein Freizeitteam "Churchill
Arms" so manche Heldentat. Die größte bestand nach
Meinung meiner Mitspieler darin, dass ich einmal, sonntags morgens
um drei vor zehn, drei Minuten vor Anpfiff, zwei Hamburger aß
und mit dem Zwiebelgeruch dann die gegnerischen Stürmer ausschaltete.
10
Sehen Sie die Weltmeisterschaft in Deutschland eher als internationales
Fußballfest oder eher als kommerzielles Massenevent?
Aus meiner Sicht waren alle Welt- und Europameisterschaften,
die ich bislang als Sportreporter erlebte, Volksfeste. Leute, die
aus der ganzen Welt zusammenkamen, um sich stundenlang darüber
zu unterhalten, ob Christian Wörns ein guter Verteidiger ist
oder nicht, die Fotos mit Japaner machten und im Wettstreit lagen,
ob man tatsächlich 27 Bier in zwei Stunden trinken kann. Ich
sehe keinen Grund, warum es in Deutschland anders werden sollte.
11
Ihr WM-Tipp: Wer wir Weltmeister, wo sehen Sie Deutschland und
England?
Ich möchte gerne glauben, dass Portugal Weltmeister wird,
weil sie nach Brasilien derzeit die bestbesetzte Elf haben, mit
Andrade und Carvalho in der Innenverteidigung, mit dem besten Fußballer
der Welt im Mittelfeld: Deco, und einen exzellenten Trainer (Scolari).
Aber natürlich weiß ich, dass das irgendwie nicht geht,
dass es halt so ist: dass ein Land wie Portugal nie Weltmeister
wird. Nun denn, wenn es Deutschland oder England werden würde,
ich würde mich mit beiden sehr freuen. Schon wieder Brasilien
wäre doch langweilig, auch wenn ihre Mannschaft eine ganze
Klasse besser ist als alle anderen. Und übrigens: Deutschland
ist ja unter Klinsmann das neue England; der Bundestrainer ist geprägt
von seiner Zeit bei Tottenham, er lässt englisch spielen, den
Ball ohne Stoppen weiterleiten, Tempo, Tempo, immer nach vorne.
Und England? Spielt unter Trainer Eriksson vorsichtig, abwartend,
mit viel Körpereinsatz. Die deutschen Tugenden sind jetzt nach
England ausgewandert.
Ronald Reng
Fremdgänger
Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 3-462-03623-8
9,90 EUR
Ebenfalls im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen sind die
Bücher:
Der Traumhüter -
Die unglaubliche Geschichte eines Torwarts
ISBN 3-462-03107-4
Mein Leben als Engländer
ISBN 3-462-03339-5
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